Grosse Ereignisse werfen lange Schatten voraus
So war das auch im Vorfeld des ESAF in Pratteln nicht wirklich anders. 2019 mokierte sich die Weltwoche noch über den royalistischen Besuch von Prinz Albert, der immerhin Schweizerdeutsch spricht und der Oltner Schriftsteller Pedro Lenz versuchte in einem spleenigen Essay das typisch Schweizerische zu ergründen. Der Gigantismus, dieses, als grösstes Volksfest der Schweiz, bekannte Anlass war heuer kein Thema.
Die Medien, die seit dem ESAF-Luzern 2004, wo das Schwingen zum ersten Mal an den zwei Tagen vom SF DRS heute SRF live übertragen wurde, setzten die Akzente auf artgerechte Tierhaltung, Albanische Trachten-Marktstände, Schwingen als Spitzensport oder mokierten sich über die Spitzenpaarungen, die so gar nicht zu den medialen Prognosen passen wollten. Und ja, die Sicherheit lieferte auch ihre Schlagzeilen, weil der abgetretene Sicherheitschef, der mit seiner Firma sonst Hochsicherheitsrisikospiele des FC Basel orchestrierte, partout nicht verstehen wollte, warum Messer, Gläser und Flaschen ohne Zusatzkontrollen im Gepäck sein dürfen.
Nun, die Mahnwache der Tierschützer wurde nicht bewilligt, der Trachtenstand war irgendwo im Dorf aufgestellt, ob Schwingen als Spitzensport zu werten sei wie die NZZ das formulierte, wurde nicht gross diskutiert; der Ausdruck Gabentempel, so wurde moniert, sei nicht mehr zeitgemäss, heisst aber immer noch so. Gewichtsklassen gibt es auch keine und der Grundsatz, wir sind alle gleich, behält auch weiterhin seine Gültigkeit und passiert ist auch nichts Dramatisches. Trotzdem stellt sich die Frage, wo liegen die Grenzen dieses Volksfestes? Um bei Luzern zu bleiben, das Fest 2004 hatte ein Budget von 9 Millionen, Pratteln 2022, ein solches von 42 Millionen. Wir sollten achtsam sein, damit das Schwingen die Bedeutungshoheit behält und nicht von der Eventwelle überrollt wird.
Schwingen – und die ungenauen Prognosen
Total 295 Schwinger figurierten auf der Startliste, davon 6 Athleten aus Übersee. Angetreten sind dann 274. Der NWSV trat mit 29 Schwingern an, wovon sieben Schwinger jünger als 20 Jahre alt waren. Kranzschwinger Sinisha Lüscher, SKOG, war mit seinen 16 Jahren der jüngste Teilnehmer am ESAF 2022.
Im präsidialen Vorwort der NWSV-Dokumentation wurde von 5 Kränzen als Ziel gesprochen, doch realistisch dürften es eher 3 Eidgenössische Kränze sein, dachte der Schreiber dieses Artikels. Aber wer holt diese Kränze? Nick Alpiger wenn er, wie Patrick Räbmatter an beiden Tagen konstant gut schwingt und Joel Strebel? Doch es kam dann ganz anders!
Favoriten auf den Königstitel gibt es nebst dem Saison Dominator Samuel Giger einige, was dieses ESAF so spannend und voller Überraschungen machte. Als Verband treten die Berner einmal mehr überzeugend geschlossen auf. Pünktlich um 07.30 Uhr wurde das ESAF 2022 mit dem Einmarsch der Teilverbands-Schwinger eröffnet und kurz vor acht Uhr erklang die Nationalhymne durch die Arena, begleitet von 50’000 begeisterten Schwing-Fans. Hühnerhaut pur!
Dann ging’s an die Arbeit
Der Samstag, Tag der Überraschungen – Anschwingen (1. & 2. Gang, Dauer 6 Minuten)
Am Mittag standen jeweils mit dem Punktemaximum, der Berner Aeschbacher Matthias an der Spitze, zusammen mit dem Innerschweizer Kaufmann und wie erfreulich, den NWSV Schwingern, aus dem Baselbiet, Odermatt Adrian, und dem Freiämter Strebel Joel, die nur durch Orlik Armon getrennt waren. Die gute NWSV Bilanz wurde ergänzt mit Alpiger Nick auf Rang 3a, Kropf Marcel 3e, Voggensperger Lars 4f, Bader Fabian 5b und auf 5j, der jüngste ESAF Teilnehmer, Lüscher Sinisha. In Lauerstellung auf 2d war Reichmuth Pirmin platziert. Stucki Christian 2g, überraschte mit seinen zwei Siegen viele, während der meistgenannte Favorit Giger Samuel, mit einem gestellten und gewonnen Gang, auf Rang 5e, nicht ganz wunschgemäss startete. Wicki Joel, der 1. Gekrönte von Zug, verbuchte auf Rang 5z ebenfalls einen gestellten und gewonnen Gang.
Ausschwingen (3. & 4. Gang, Dauer 7 Minuten)
Für den NWSV war nach Halbzeit Freude angesagt, führte doch Odermatt Adrian, NWSV zusammen mit Reichmuth Pirmin ISV, mit 40 Punkten die Rangliste an. Wicki Joel folgte auf Platz 3b, vor dem, nach dem Anschwingen führenden Aeschbacher Matthias auf 3c. Es folgten die NWSV Schwinger Strebel Joel 4d, Schmid David 5d, Hügli Kay 6a, und Widmer Tobias 6b, Alpiger Nick 6c, Frank Marius 6d, Voggensperger Lars 6m Auch Roth Tim 8e und Lüscher Sinisha 8m qualifizierten sich für den Ausstich am Sonntag. Stucki Christian der seinen vierten Gang gegen Reichmuth Pirmin verlor, beendete seine bemerkenswerte Halbzeitleistung auf 6k.
Fazit: Es blieb spannend und die Berner Dominanz war nicht so gross wie ursprünglich erwartet.
Der Sonntag – Ausstich, 35.75 Punkte (5. & 6. Gang, Dauer 7 Minuten)
Die NWSV Erfolgsgeschichte ging weiter. Nebst dem führenden Wicki Joel der ungeschlagen blieb, folgte auf Rang 2 Alpiger Nick, und Odermatt Adrian auf 3c. Dazwischen figurierten Staudenmann Fabian 3a und Reichmuth Pirmin 3b. Auf 6a folgte bereits der Fricktaler Schmid David, Widmer Tobias 6c, Aarau, Döbeli Lukas 6e. Für den Kranzausstich reichte es auch Strebel Joel, Vieira Tiago, Voggensperger Lars, Hermann Oliver, Roth Tim, Lüscher Sinisha, Brun Samuel, Hügli Kaj, Roth Jan, Frank Marius, Stüdeli Thomas, Schmutz Simon, Bader Fabian und Räbmatter Patrick.
Kranzausstich, 54.25 Punkte (7. & 8. Gang, Dauer 8 Minuten)
Die Eidgenössischen Kranzer und Neukranzer des NWSV klassierten sich auf Rang 2b Alpiger Nick, Odermatt Adrian 3, (Neukranzer) Schmid David 5a, Döbeli Lukas 6c, Widmer Tobias 7c (Neukranzer) Strebel Joel, und Voggensperger Lars 9g, (Neukranzer). Knapp am Kranz vorbei auf Rang 10a schwang Hermann Olivier während der jüngste Schwinger des ESAF 2022, Lüscher Sinisha, SKOG, auf Rang 11d abschloss. Nicht ganz zufrieden sein dürfte der Eidgenosse Räbmatter Patrick auf Rang 13 c.
Schlussgang, angesetzt auf 16 Minuten, dauerte 12 Minuten und 41 Sekunden
Szenarien gab es verschiedene, sogar die Wahrscheinlichkeit von 3 Erstgekrönten war gegeben. Doch dann war es doch klar, Wicki Joel der 1. Gekrönte von Zug und der überzeugende Berner Schwinger Aeschbacher Matthias, standen im 16minütigen Schlussgang. Der Kampf wog hin und her und war spannend. Mehr als einmal war Wicki nahe an der Niederlage, doch nach 12 Minuten 41 Sekunden lag Aeschbacher nach «Ableeren» auf dem Rücken. Beide Schwinger blieben lange nebeneinander im Sägemehl liegen, ehe sie sich die Hand reichten – die Erschöpfung nach diesem intensiven Kampf der Beiden war offensichtlich.
Schlussbetrachtung
Die Prognosen über das Abschneiden der NWSV-Schwinger waren so wunderbar falsch. Ein tolles ESAF 2022 bescherte dem NWSV einen Kranzrekord mit sieben Eidgenössischen Kränzen. Drei Gewinner sind Neukranzer – grossartig! Die drei jungen, Lüscher Sinisha, 74.25 P, Rang 11, Stüdeli Thomas 73.50 P, Rang 14 und Frank Marius 72.25 P, Rang 19, lieferten ein tolles ESAF Ergebnis. Überhaupt bemerkenswert war, dass fast 50 % der Kranzgewinner am ESAF 2022 Neukranzer sind. Das lässt hoffen für den Schwingsport, das lässt hoffen für den NWSV.
Der Sieg von Joel Wicki, nun ja ob im Nachgang betrachtet, das ganz eindeutig war oder nicht, lasst die (berufenen) Experten fachsimpeln; vielleicht ist es auch einfach ausgleichende Gerechtigkeit, wenn wir zurück denken an Zug 2019.
Männer schwingen, Männer beurteilen, Männer benoten – Schwingen eine typisch menschliche Sportart.
Ist es nicht gerade diese Fehlbarkeit dieses Sports, der ihn so faszinierend, so unberechenbar, so spannend macht.
In eigener Sache
Das ist mein letzter Bericht von und über ein Schwingfest als SKSV Medienchef und Team NWSV. Aus bekannten Gründen bin ich ja als Medienchef schon vor einiger Zeit zurückgetreten, entschied mich dann aber doch noch einmal für den Einsatz am ESAF 2022. Entschuldigt. wenn mein Beitrag mit Verzögerung erscheint, die drei Tage waren etwas viel.
Ich danke der Schwinger-Familie und meinen tollen Leuten, die mich über all die Jahre begleitet haben. Besonderen Dank geht an Astrid Rohner-Vogt, Sabine Büttler, Pascale Alpiger und August Köpfli. Ohne sie hätte ich die Zusammenhänge nie so hinbekommen und bebildern können. Danke auch den Verbandspräsidenten vom NWSV und SKSV und allen Delegierten für das Vertrauen in meine Person und mein Schaffen.
Den Schwingern wünsche ich unfallfreie und erfolgreiche Schwingfeste.
Machets gut.
Resumé
Total Eidgenössische Kränze: 44
Total NWSV: 7
Total Neukranzer: 21
Total Neukranzer NWSV: 4
Ranglisten und Statistik unter www.esv.ch
Rolf Wuethrich, SKSV Medienchef a. D.
30. August 2022